Domodossola? Wirklich? Domodossola an einem Samstag? Unser Zimmer-Vermieter Massimo zieht seine Stirn in Falten und sieht uns zweifelnd an, als wir am Frühstückstisch im b&b al dom sitzen und unser Frühstück genießen. (Dieses b&b ist übrigens definitiv Grund Nr. 5.)
Aber ja, Massimo, warum nicht? Na ihr werdet schon sehen, sagt Massimo kryptisch. Also ab Richtung Norden, an Tag 4. Und dann wissen wir, was Massimo gemeint hat: Markttag. Kleidung, Schuhe, Obst, Gemüse, Kinderroller, Puppenhäuser - hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Aber: vor lauter Markt sieht man eigentlich die Stadt nicht mehr, denn er zieht sich durch die gesamte Altstadt. Schade. Einen kurzen Moment lang glauben wir auch, dass wir uns irrtümlich über die (nahe) Schweizer Grenze verirrt haben; denn man hört nur Schweizer Dialekt, die Gastgärten sind gerammelt voll mit Schweizer Gästen und die kleine Stadt scheint aus ihren Nähten zu platzen. Aber wir finden auch ruhige Ecken und ahnen, wie hübsch dieses kleine Bergstädtchen, der Hauptort des Val d´Ossola, ist, wenn hier nicht die Menschenmassen einfallen. Unser Tipp: Am besten unter der Woche vorbeikommen! Mittelalterliche Laubengänge und Kirchen, die zentrale Piazza del Mercato (die unzähligen Marktstände denken wir uns kurz weg), die Via Briona, die daran anschließt – Domodossola präsentiert einen kompakten Stadtkern mit Häusern, die großteils aus dem 15. Jahrhundert stammen. Aber heute regieren hier die Marktstandler und irgendwie ist das auch schlüssig, schließlich war die Stadt aufgrund ihrer Lage am viel befahrenen Weg Richtung Simplon-Pass (zur Schweiz) schon im Mittelalter ein wichtiges Handelszentrum. In der warmen Oktobersonne genießen wir ein köstliches Haselnuss-Eis in einem kleinen Café auf einem hübschen, ruhigen Platz…
Und dann zieht es uns schon weiter, tiefer hinein in das landschaftlich wunderschöne Ossola-Tal. Bei Crevoladossola hat die Simplon-Straße das Ossola-Tal verlassen, nun wird es immer einsamer und alpiner und wir erreichen Baceno, noch nicht ahnend, dass wir hier Argument Nr. 6 für eine Reise ins nördliche Piemont finden: Denn hier steht auf einem Felsplateau die Pfarrkirche San Gaudenzio, deren Wurzeln bis ins Jahr 1039 zurückreichen und die in den vergangenen Jahrhunderten eine rege Baugeschichte hinter sich hat. Gegen 1180 wurde die Kapelle aus dem 9. Jahrhundert in eine große, romanische Saalkirche umgebaut. Aber es folgten weitere Umbauten: Um die Stabilität zu erhöhen, wurden im 15. Jahrhundert zwei Reihen spätgotischer Arkaden eingezogen. 1546 wurden schließlich noch zwei Seitenschiffe angebaut, sodass hier heute eine fünfschiffige Basilika steht. Von außen ahnt man jedoch nicht, was einen im Inneren erwartet: Großartige Fresken, vom Boden bis in die Deckengewölbe. Aber lassen wir erst mal die beeindruckenden, die Kirche dominierenden Fresken auf uns wirken: hier ist wirklich nahezu alles freskiert – die Pfeiler, Arkadenbögen, Gewölbe und Wände. Ein Fest für das (kunsthistorisch interessierte) Auge. Die Freskenzyklen stammen hauptsächlich aus Spätgotik und Renaissance, nur ein paar wenige Barockbilder sind zu finden. Besonders gut – wie könnte es anders sein – gefällt mir die Hl. Katharina am linken Pfeiler vor dem Triumphbogen. Hier gibt es viel zu sehen und man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll: Ein apokalyptischer Drachen inmitten vieler Fabelwesen, ganze Armeen marschieren hier, weite Landschaften lassen das Auge mitwandern – man könnte hier Stunden stehen und schauen und immer wieder neue Geschichten und Aspekte entdecken. Erstaunlicherweise sind wir ganz alleine in dieser Kirche und der kunsthistorische Schatz gehört für diese Zeit exklusiv uns. Mit der Restaurierung Mitte der 80er Jahre hat man den Fresken nicht nur ihre intensiven, starken Farben zurückgegeben, sondern auch interessante Entdeckungen gemacht: So wurden in der Apsis des rechten Seitenschiffs, nachdem man allerlei barocke Bilder und Stuck entfernt hat, schöne gotische Fresken entdeckt.
Gut, dass wenige hundert Meter nebenan, rund um das Gemeindezentrum von Baceno, gerade ein Herbstfest stattfindet; mit regionalen Spezialitäten und gerösteten heißen Kastanien, wir brauchen dringend etwas Wärmendes, nach der Stunde in der Basilika.
So ganz können wir uns dann von der großartigen alpinen Szenerie nicht trennen und wir fahren weiter hinein in das Valle Formazza (das im unteren Bereich Valle Antigorio genannt wird). Immer wieder gibt es steile Serpentinen, die einen großartigen Ausblick auf Schluchten und Steilwände bieten, es wird immer einsamer, kleine alte Holzhütten links und rechts der Straßen, immer wieder mal eine kleine Kapelle und das Tal wird immer enger, auf der einen Seite schroffe, hohe Felswände, bevor es dann in eine Art Hochebene mündet, jetzt ist es wirklich nicht mehr weit in die Schweiz… Eigentlich wollen wir zum Cascata del Toce, ein riesiger Wasserfall mit beeindruckenden 143 Metern Höhe, aber kurz vor dem Ziel sehen wir, dass wir eine nicht unwichtige Information überlesen haben in unserer Bergeuphorie: Der Wasserfall ist nur zwischen Juni und September „geöffnet“, oberhalb befindet sich ein Stausee. Macht nichts, die Fahrt durch dieses landschaftlich beeindruckende Tal war es trotzdem wert, und na ja, vielleicht haben wir soeben wieder eine Ausrede gefunden, unbedingt noch mal herkommen zu müssen. Welch ein Zufall, Grund Nr. 7.
Tag 5: Sonntag? Wirklich schon Sonntag? Vor uns liegen noch ein paar Stunden, bevor uns der Flieger wieder Richtung Wien bringt. Und die wollen genützt sein. Also auf zum Seeufer in Orta San Giulio am Orta-See und rauf auf ein Boot, das uns hinüber bringt zur Isola San Giulio. Dort waren wir zwar schon mal, aber es gibt kaum einen schöneren Platz am See, um noch ein paar letzte Sonnenstunden und See, Berge und den Ausblick auf Orta San Giulio zu genießen. Also noch einmal ein Rundgang über die kleine Insel, auf der die Basilica di San Giulio steht, und dann sitzen wir einfach auf den Stufen am Bootsanlegeplatz und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen… ach ja, kann bitte jemand die Uhr anhalten? Es endet schließlich, wie es begonnen hat: Ein letzter Stopp im Ristorante Venus, dessen Gastgarten zum Bersten voll ist, es scheint, dass alle noch mal ein warmes Sonnenbad nehmen wollen, bevor der November seinen Lauf nimmt. Ein italienischer Sonntag wie aus dem Bilderbuch. Hinter uns die Kinder, die auf der Piazza Fußball spielen. Und wieder landet der Fußball im Schanigarten... alles wie immer. Hey, ragazzi, wir kommen wieder… und dafür brauchen wir eigentlich gar keinen bestimmten Grund.
Werbung aufgrund von Namensnennung/Verlinkungen. Diese Reise wurde privat und auf eigene Kosten durchgeführt.
gut schlafen
Unser kleines Paradies am Lago di Orta und deshalb nur schweren Herzens verraten: Das b&b al dom. Direkt am See mit großartigen Gastgebern.
Gediegen, in einem ehemaligen Kloster aus dem 16. Jahrhundert, direkt am See gelegen, mit Pool: Hotel San Rocco.
Etwas für die große Geldbörse, dafür mit Himmelbett und Spitzengastronomie: Die berühmte Villa Crespi.
gut essen & trinken
Unser Favorit ist das Ristorante Venus, direkt am Seeufer an der Piazza Motta – dem Hauptplatz des Ortes – gelegen. Es bietet hervorragendes Essen und einen unvergesslichen Sundowner mit Blick auf die Klosterinsel.
Ebenfalls empfehlenswert: Das Ristorante Due Santi, auch auf der Piazza Motta zu finden – hervorragender Fisch!
Wer Pizza aus dem Holzofen und bodenständige Pasta mag, der ist in der Pizzeria La Campana in der Via Giacomo Giovannetti 43, 3 Minuten von der Piazza Motta entfernt, genau richtig.
Lesetipp
Auf unseren Reisen durch das Piemont ein unentbehrlicher Begleiter: Der DuMont Kunstreiseführer Piemont und Aostatal.