• Varallo: Auf den Spuren von Gaudenzio Ferrari
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Juni 2015

Kunsthistorisch gesehen gehört Varallo in der Provinz Vercelli ganz sicherlich zu den spannenden und absolut sehenswerten Zielen im nördlichen Piemont – und das liegt auch am bekannten Renaissance-Maler Gaudenzio Ferrari. Aber auch in Sachen Lage, nämlich malerisch am Fluss Mastallone und umgeben von grünen Bergrücken, und mit seinem Centro storico kann das kleine Gebirgsstädtchen punkten. Das bekannteste Highlight Varallos thront hoch oben über Stadt und Fluss: der Sacro Monte.

Unser Quartier haben wir am Ortasee, im bezaubernden Orta San Giulio, aufgeschlagen; nicht nur ein wunderschöner Platz, um entspannte Juni-Tage am See zu verbringen, sondern auch eine sehr gute Ausgangsbasis für Ausflüge im nördlichen Piemont. Und so peilen wir nun das rund 50 Autominuten entfernte Varallo an, nicht nur malerisch gelegen ist, sondern auch kunsthistorisch so einiges zu bieten hat. (Apropos, Varallo wird aufgrund seiner Lage am Fluss Sesia auch Varallo Sesia genannt, um es vom gleichnamigen Varallo Pombia in der Piemont-Provinz Novara unterscheiden zu können.)

Da wir außerhalb des historischen Zentrums parken, kommen wir als allererstes in den Genuss eines sehr malerischen Ausblicks auf die Stadt: Wir stehen in der Via Mario Tancredi Rossi, hoch über dem Fluss Mastallone, mit Blick auf die mächtige Brücke, die Ponte Antonini, die zur Via Osella und damit ins Zentrum auf der anderen Seite des Flusses führt. Rund 7.000 Menschen leben hier, auf 450 Metern über dem Meeresspiegel, und rund 50 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Vercelli.

Über die Brücke geht es also ins Stadtzentrum, wo es recht beschaulich zugeht; die Via Osella geht über in die Via Umberto I., links und rechts dieser Straße kann man in das Gassengewirr der Altstadt (die hier gleichsam auf einem Plateau liegt) eintauchen und ein paar der Highlights Varallos entdecken. Dazu zählt jedenfalls die sehenswerte Pinacoteca Civica (Piazza Giovanni Calderini, 25), die sich im Palazzo dei Musei befindet: Sie gilt als eine der ersten öffentlichen Kunstsammlungen im Piemont und beheimatet Meisterwerke von Künstlern wie Tanzio da Varallo, Antonio Fontanesi und des Malers Gaudenzio Ferrari, einem der größten norditalienischen Künstler des 16. Jahrhunderts. Auf Gaudenzio Ferrari, der in Valduggia im Sesiatal geboren ist, trifft man in Varallo übrigens noch öfter…

Zum Beispiel begegnet man Ferrari auch in der Kirche San Gaudenzio: Sie wurde auf einem steilen Felsen, der zwischen den Häusern aufragt, oberhalb der zentralen Piazza Vittorio Emanuele II. erbaut und springt mit ihrer beeindruckenden Freitreppe sofort ins Auge. Über die steile Treppe geht es hinauf zu einem Arkadengang, der um die gesamte Kirche herumführt. (Wer komfortabler und weniger steil in die Kirche hinaufsteigen möchte, der tut das am besten von der anderen Seite der Kirche aus; über eine Rampe landet man dann auf der Rückseite der Kirche, wo sich auch der eigentliche Kircheneingang befindet.) San Gaudenzio wurde bereits im 13. Jahrhundert erwähnt und Anfang des 18. Jahrhunderts in Kreuzform barock umgestaltet. Im halbrunden Chor ist ein Werk von Gaudenzio Ferrari zu sehen: Das Polyptychon besteht aus mehreren Ölgemälden und zeigt die Verlobung der hl. Katharina; es handelt sich dabei vermutlich um eines der ersten Werke des Renaissance-Malers, der stark von Leonardo da Vincis Schaffen beeinflusst gewesen sein soll. Schön ist übrigens auch der romanische Glockenturm, der höchstwahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert stammt.

Als nächstes peilen wir die Piazza Gaudenzio Ferrari an; hier liegt die äußerlich sehr schlicht gehaltene Klosterkirche S. Maria delle Grazie. (Sie wurde zusammen mit dem angrenzenden Franziskanerkloster zwischen 1468 und 1493 errichtet.) Und es überrascht nicht, dass auf diesem Platz auch ein Denkmal des Renaissancekünstlers Gaudenzio Ferrari steht – in weite Gewänder gehüllt, mit dichtem, fliegendem Haar. Schräg gegenüber hat der Künstler jahrelang gelebt, in der Casa Ferrari, möglichst nahe seiner intensiven Arbeit auf dem Sacro Monte und in den Kirchen Varallos. Denn auch in der Chiesa S. Maria delle Grazie findet sich eines seiner Werke und es gilt als eine seiner künstlerisch wertvollsten Arbeiten: Auf der Lettnerwand, die über drei offenen Bögen bis in den Dachstuhl der Kirche reicht, ist ein wunderschön restaurierter Freskenzyklus aus dem Jahr 1513 zu sehen, der Szenen zum Leben und Leidensweg Christi (von der Verkündigung bis zur Auferstehung Christi) zeigt und dies auf einer Fläche von 10,4x 8 Metern. Im Zentrum des Freskenzyklus zu sehen ist der dramatische Höhepunkt der Erzählung: Jesus Kreuzigung.

Nur ein paar Schritte sind es von der Chiesa S. Maria delle Grazie zur Seilbahn (Funivia Sacro Monte), die einen hinauf zum Wallfahrtsort Sacro Monte bringt, der hoch über der Stadt thront. Das Heilige Land quasi in Miniaturform nachzubauen, auf dem Felsen über der Stadt Varallo, davon träumte der Franziskanermönch Bernardino Caimi. Sein Plan: Dort oben die wichtigsten Orte Jerusalems aus dem Leben Jesus nachzubauen. Im Inneren dieser Gebäude sollte mit einfachen Bildern, Gemälden und Statuen an jene Episoden erinnert werden, die sich an diesen Orten ereignet hatten. Ab 1491 wurde dies tatsächlich umgesetzt: Auf dem Felssporn oberhalb von Varallo entstanden 45 sakrale Bauwerke (44 Kapellen und eine Kirche), in denen sich 600 lebensgroße Figuren aus Holz und Terrakotta und über 4000 gemalte Figuren befinden, die von Jesus Leben und Sterben erzählen. Um 1650 war die Anlage, die aufgrund der Stadtmauer und mit dem monumentalen Eingangstor wie eine befestigte Stadt wirkt, großteils fertiggestellt. Die Gesamtleitung hatte übrigens anfangs Gaudenzio Ferrari inne (er starb rund 100 Jahre vor der Fertigstellung des Sacro Monte), später waren daran auch weitere bekannte Künstler wie Tanzio da Varallo und Morazzone beteiligt. (Etwas kleiner in den Dimensionen, mit 20 Kapellen und 376 Figuren, aber nicht minder sehenswert ist der Sacro Monte oberhalb von Orta San Giulio am Ortasee.)

Und wieder stehen wir am Ufer des Mastallone; unten an den Kiesstränden stehen Klappsessel, vermutlich schon vorbereitet für ein gemütliches Treffen, und immer wieder verstreut sind auch Liegen mit Sonnenschirmen auszumachen. Würde ich hier leben, wäre das auch genau mein Platz: Die Beine im sicherlich angenehm kühlen Flusswasser abkühlen, im Schatten unter dem Schirm ein Buch lesen, dem Rauschen des Flusses lauschen, und ja, vermutlich auch ein herrliches Schläfchen machen…

Ein letzter Blick zurück auf Fluss, Brücke, Altstadt und den Sacro Monte. Und dann war´s das auch schon wieder mit uns und dem hübschen Varallo. Es ist ein heißer Juni-Tag und der Ortasee ruft nach mir, ziemlich laut sogar…

Noch ein Tipp zum Schluss: Wer jetzt immer noch nicht genug von Gaudenzio Ferrari hat, der kann noch einen Stopp in der Renaissance-Kapelle Madonna di Loreto, am Rande von Varallo, im Ortsteil Roccapietra, einlegen. Die Kapelle erhebt sich sehr pittoresk vor einer beeindruckenden Kulisse aus Felswänden und Wäldern. Aus kunsthistorischer Sicht ist sie besonders interessant aufgrund ihrer Renaissance-Architektur und der umfangreichen Außen- und Innendekoration. Zu sehen gibt es im Portaltympanon die Darstellung der Heiligen Familie von Gaudenzio Ferrari – und weitere Werke von Künstlern, die später am Sacro Monte ebenfalls beteiligt waren.

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Und es gibt noch mehr Piemont-Empfehlungen:

Das bezaubernde Orta San Giulio am schönen Ortasee im Nordosten des Piemonts, unweit des Lago Maggiore: Viel zu sehen, viel zu genießen.

Schöner urlaubswohnen am Ortasee: Mein Lieblings-B&B am See.

Goldene Herbsttage im Piemont: Tipps für Ausflüge vom Ortasee in die mittelalterliche Oberstadt von Biella, in den dramatisch schön gelegenen Wallfahrtsort Oropa, in die Karneval-Stadt Ivrea, nach Domodossola mit seinen mittelalterlichen Laubengängen und in das landschaftlich beeindruckende Ossola-Tal mit kunsthistorischen Highlights – und für einen Abstecher in die Lombardei, an den schönen Lago di Como.

Wenn Turin lockt, dann sollte man nicht widerstehen...

Der guten Ordnung halber erwähnt: Dies ist ein unbeauftragter und unbezahlter Blog-Beitrag.

gut schlafen

Noch nicht persönlich ausprobiert, aber der Blick vom Dachpool auf den Sacro Monte und die Altstadt von Varallo könnte mich überzeugen: Das B&B Roccolo Valsesia, ganz zentral an der Piazza San Gaudenzio in Varallo gelegen.