Sie gelten noch als kleiner Geheimtipp: Die mittelitalienischen Marken, die oft auch als die kleine Schwester von Toskana und Umbrien gehandelt werden. Und als wir uns über kurvenreiche Straßen unserem Quartier nahe Barchi nähern, erkennen wir tatsächlich ein wenig Toskana als auch ein bisschen Umbrien in der Landschaft, die da an uns vorbeizieht: Hügelketten, auf denen malerisch kleine Orte thronen, endlos anmutende Sonnenblumen-Felder, goldgelb leuchtende Getreidefelder, Wiesen mit kunstvoll gestapeltem Heu. Schön ist es hier. Noch während ich dies hier schreibe, kommt mir der Gedanke, dass man dieser Region seinen Geheimtipp-Status vielleicht eigentlich noch ein wenig lassen sollte. Aber – zu spät, zu spät…
Kurve um Kurve schieben wir uns in gemächlichem Tempo über die Straßen, immer wieder mal einem Schlagloch ausweichend. Die erste Lektion die wir lernen: Wenn hier ein Verkehrszeichen an der Straße auf Fahrbahnschäden oder ähnliches hinweist oder eine 30-Stundenkilometer-Beschränkung gilt – dann sollte man dies auch ernst nehmen. Denn manche Land- bzw. Nebenstraßen sind in wirklich schlechtem Zustand – und es lohnt nicht die Autoachse in einem der Schlaglöcher zu versenken. Darüber hinaus sind die Marken eine landwirtschaftlich intensiv genutzte Region und so passiert es uns nicht nur einmal, dass plötzlich ein Ungetüm von landwirtschaftlicher Maschine ziemlich rasant um eine uneinsichtige Kurve wetzt oder sich ganz plötzlich aus einer kleinen Straße herausschiebt. Und ganz schnell ist uns bei diesen Verkehrsteilnehmern klar: Sie haben absoluten Vorrang, das gebietet schon die Größenordnung.
Und dann sind wir da: Steil bergab ging es zuletzt und genauso steil bergauf. In einem schneereichen Winter möchte man hier nicht unterwegs sein, und dass es diese hier auch gibt, das zeigen die zahlreichen Schneeketten-Zeichen am Straßenrand. Richtiger Sommer herrscht aber bei unserem Besuch und so legen wir die letzten Meter, vorbei an zirpenden Grillen und Sonnenblumenfeldern, zurück, um schließlich vor dem Corte Campioli Hotel & Country House zu halten, in dem wir für eine Woche Quartier beziehen. Und dieses bietet nicht nur eine traumhafte Lage mit unbegrenztem Ausblick auf die umliegende Hügellandschaft und Orte wie Barchi oder Sorbolongo, sondern auch ganz viel Gastfreundschaft und vor allem die perfekten Rahmenbedingungen für einen mehr als entspannten Aufenthalt in den Marken, mit vielen Sightseeing-Highlights, Ausflügen ans nahe Meer – und Nichtstun. Äußerst süßem Nichtstun. (Einen ausführlichen Bericht zum Corte Campioli gibt es deswegen hier.)
Eine Woche lang haben wir also unsere Zelte auf dem schönen Landgut im nördlicheren Teil der Marken, in der Provinz Urbino und Pesaro, aufgeschlagen. Und weil es eben kein Roadtrip durch die gesamte Region ist und wir immer vom gleichen Ort zu Erkundungen aufbrechen, gibt es hier ein paar Berichte zu Touren bzw. Dörfern, Städten und Kultur-Highlights, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte…
Tour Nr. 1: Corte Campioli – Sassoferrato – Fabriano – Santuario Madonna di Frasassi – Jesi – Corte Campioli
Wir haben uns einiges vorgenommen an diesem Tag: Den kleinen Ort Sassoferrato wollen wir besuchen, weil man von dort auch einen besonders schönen Ausblick auf die Ausläufer des Apennins hat, danach das für Papierherstellung berühmte Städtchen Fabriano. Als Fixpunkt haben wir das Santuario Madonna di Frasassi auf dem Zettel, eine Kapelle, die hoch am Berg in einer mächtigen Höhle errichtet wurde – und zum Abschluss geht es noch nach Jesi, eine kleine Stadt nahe der Adria. Dominieren in der Provinz Urbino und Pesaro noch Sonnenblumen und Getreidefelder, so wird es waldreicher, je südlicher wir uns bewegen. Vorbei an üppigen Sonnenblumenfeldern fahren wir über Landstraßen, immer wieder muss ich anhalten und aus dem Auto springen: „Sorry, aber dieses Sonnenblumenfeld ist noch schöner als das letzte…“. Ab und zu sieht man einen Hinweis auf ein versteckt liegendes Agriturismo, ansonsten ist diese Gegend aber weitgehend untouristisch.
Nach rund 40 Minuten erreichen wir das 7000-EinwohnerInnen-Städtchen SASSOFERRATO, wo wir den alten Ortskern, der in der Oberstadt liegt, anpeilen: Wie so oft in italienischen Städtchen mit Unter- und Oberstadt spielt sich unten (im „Borgo“) das Alltagsleben ab, oben, im „Castello“, herrscht beschauliche Idylle. Ziemlich ruhig und verschlafen präsentiert sich Sassoferrato und das, obwohl wir mitten am Vormittag unterwegs sind. Fast fühlt man sich ein wenig so, als ob einen die Welt hier vergessen hätte. (Irgendwie ein gutes Gefühl.)
Welche Rolle Sassoferrato als freie Stadtrepublik einmal gespielt hatte, das kann man daran ablesen, dass an der großzügigen Piazza Matteotti gleich zwei Rathäuser stehen. Dicht neben einander aufgefädelt sind der Palazzo Communale, der Palazzo Priori (15. Jhdt.) und der Palazzo Oliva aus dem 16. Jahrhundert. In letzterem befindet sich die Civica Raccolta D`Arte, zu sehen sind Gemälde und Zeichnungen von lokalen Künstlern sowie Künstlern aus den Marken, vom Spätmittelalter bis zum Barock. Im benachbarten Palazzo Priori ist das Museo Archeologico beheimatet: Hier wird einiges zur römischen Vergangenheit der kleinen Stadt gezeigt. Die Spuren römischen Lebens kann man übrigens auch im Parco Archeologico di Sentinum an der Peripherie der Unterstadt besichtigen (Loc. Santa Lucia). Und dann verlieren wir uns einfach ein bisschen in den Gässchen der Oberstadt, ganz allein sind wir zwischen den Gebäuden aus Kalkstein, dessen sanfte Rottöne den Straßenzügen irgendwie eine ganz besondere Stimmung verleihen, unterwegs. Um schließlich noch einen Abstecher zum Ortsrand zu machen, vorbei an den Überresten der Festung: Von hier hat man einen besonders schönen Ausblick auf die Ausläufer des Apennins.
Und dann überlassen wir Sassoferrato seiner nahenden Siesta und machen uns auf den Weg Richtung FABRIANO, das noch etwas südlicher, in der Provinz Ancona liegt. Und berühmt ist für die Herstellung von Papier: Bereits Mitte des 13. Jahrhunderts war Fabriano, das seinen Namen den römischen Grundherren Faberius Fabriano verdankt, ein Zentrum der Papierherstellung. Und damit eines der ältesten Zentren in Sachen Papierherstellung in Europa. Auch heute sind hier einige Papierfabriken angesiedelt. Papier lautet auch unsere Mission an diesem heißen Juli-Mittag: Denn mein Mann möchte unbedingt noch Geschenkpapier für meinen rasant heran nahenden Geburtstag kaufen. Und so laufen wir förmlich (vom Parkplatz Parcheggio Via Cappuccini ) entlang der Via della Vittoria hinein in das Stadtzentrum, denn es ist 12.30 Uhr und wer Italien kennt, weiß, dass damit die Zeit gegen uns arbeitet. Und zwar massiv, Pasta und Siesta locken die Geschäftsinhaber nach Hause… Aber an diesem Tag sind wir offensichtlich vom Glück geküsst, denn die Antica Cartoleria Lotti (Corso della Republicca 58) hat noch geöffnet und bietet in zwei Räumen alles, was man so von einem Papiergeschäft in einer Papierstadt erwartet. Ich vertreibe mir inzwischen in der nahen und aufgrund seiner Größe mehr als beeindruckenden Loggiato San Francesco die Zeit: Trockenen Fußes kann man hier, seit dem 15. Jahrhundert, von der zentralen Piazza bis zur (1864 schwer beschädigten) Chiesa di San Francesco eilen. 1790 wurde das Gebäude gar um sieben Arkaden verlängert, um die Loggia direkt mit dem Rathaus zu verbinden – eine schlaue Sache, das Ganze.
Aber vorerst eile ich nirgends hin, sondern nehme die Stadt von hier oben erst mal in Augenschein: Wie leergefegt ist die Piazza um die Mittagszeit, nur ein einsamer Radfahrer quert diese rasch, die Pasta ruft auch ihn. Und da liegt sie nun vor mir, die Piazza del Comune, dominiert vom Palazzo del Podestà: Wie eine große Bühne, mit beindruckenden Kulissen, vor denen ein Brunnen (die Fontana di Sturinalto) malerisch vor sich hinplätschert. Klingt es nach einem Gemeinplatz, wenn ich sage, dass ich in diesem Moment vor meinem geistigen Auge die BewohnerInnen der Stadt in historischen Gewändern über den Platz eilen sehe? Wenn ich die Geschichte der Menschen dieser Stadt in diesem Moment irgendwie spüre? Ja, vermutlich klingt es nach Klischee, ein bisschen, aber so nehme ich es nun mal in diesem Moment wahr. In dieser Stille vermeine ich sogar die Stimmen der Menschen zu hören, der Tiere, die hier ebenfalls unterwegs sind, das ganze mittelalterliche Leben dieser Stadt scheint sich in diesem Moment ausgerechnet vor meinen Augen abzuspielen. Na, stößt mich mein Mann an der Schulter: Tagträume? Ja, irgendwie schon…
Wir steigen die paar Meter zum Domplatz hinauf – aber leider: Verschlossene Türen. Der barocke Dom San Venanzo ist geschlossen, wie das halt so ist um diese Zeit. Wir lassen uns seufzend auf den Treppen des Doms nieder und zücken unseren Reiseführer… „Siete italiani? Seid ihr Italiener?“, fragt mich da ein älterer Herr, der plötzlich mit einem Plastiksackerl und einem großen Schlüssel bewaffnet vor uns steht. „No“, sage ich – und bejahe seine Frage, ob ich italienisch spreche. Er ist einer von vielen, die hier in Fabriano eine Art Freiwilligendienst leisten, um BesucherInnen der Stadt Orte zu zeigen, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben, erklärt er mir. Nur ein paar Gehminuten entfernt befinde sich das Oratorio del Gonfalone, eine ehemalige Bruderschaftskirche – ob wir diese denn sehen wollen? Eigentlich sei er am Weg nach Hause, „Mittagessen, Sie wissen schon…“, aber er mache den kleinen Umweg gerne für uns, denn es tue ihm immer so leid, wenn BesucherInnen in seiner Stadt dann nur vor verschlossenen Türen ständen. Was für ein nettes Angebot…
Am Weg zum Oratorio erzählt er mir, dass es so viele schöne Kirchen in Fabriano gebe, aber, leider, seien einige derzeit und bis auf weiteres geschlossen. Dringend notwendige Renovierungen, zu wenig Geld, zu wenige Menschen, die sich dafür engagieren wollen. Aber, das Oratorio sei etwas ganz Besonderes und er freue sich sehr, uns dieses zu zeigen. Und dann ist unsere Freude groß: Denn hinter den groben Steinmauern würde man nie das erwarten, was sich uns nun offenbart. Legt man in dem 1610 von der Marienbruderschaft in Auftrag gegebenen und 1636 fertig gestellten Oratorium seinen Kopf in den Nacken, scheint die Holzkassettendecke mit ihren versilberten und vergoldeten Figuren geradezu über einem zu schweben. Wie beeindruckend! Besonders schön sind auch das Chorgestühl aus Nußholz und der Gemäldezyklus an den Wänden, der dem Leben der Jungfrau Maria gewidmet ist. Was für ein Kleinod, sage ich zu dem Signore, und er nickt nur zustimmend. Bevor er mich einem Schwall von Informationen in beeindruckendem Sprechtempo aussetzt, von dem ich letztlich dann nur die Hälfte verstehe. Na gut, ein Drittel. Soviel verstehe ich dann noch: das Altarbild wurde von Antonio Viviani aus Urbino geschaffen, und er war als der „Taube“ bekannt. Der Rest an Wissenswertem wird also (zumindest für mich) für immer ein Geheimnis bleiben…
Er lässt uns viel Zeit diesen Raum zu erkunden, dabei ist die Pasta zu Hause vermutlich längst servierbereit. Grazie, mille grazie – sagen wir, con piacere, der Signore. Und dann schließt er das Oratorio wieder ab mit dem großen Schlüssel und eilt eine von der Mittagssonne gnadenlos beschienene Gasse hinauf, nachdem er uns noch ein letztes Mal fröhlich über die Schulter zuwinkt….
Und dann sitzen wir wieder auf den Treppen vor dem Dom, der Cattedrale di San Venzano, dessen Fresken aus dem 14. bis 16. Jahrhundert sehenswert sein sollen. Aber was soll`s, wir haben das Oratorio del Gonfalone gesehen, ein absolutes Highlight. Genau gegenüber liegt übrigens das spätgotische Ospedale del Buon Gesù, das eigentlich auch einen Besuch wert wäre, wenn, ja wenn… Noch heißer ist es mittlerweile und wir kühlen uns in dem Brunnen vor dem Gebäude nahe dem Dom ein wenig ab, herrlich. Und dann laufen wir wieder hinunter, zur Piazza del Comune und halten uns dort scharf links – und befinden uns unvermittelt staunend unter einem massiven, freskierten Gewölbebogen eines Gebäudes. Wir sind schon viel in Italien herumgekommen, aber so etwas haben wir bisher noch nicht gesehen.
Schließlich landen wir auf der nahen Piazza Garibaldi, auf der sich auch der Mercato Coperto befindet: In der überdachten Markthalle werden zahlreiche regionale Spezialitäten angeboten – darunter die Salame di Fabriano, zwar recht fetthaltig, aber, oha, was für ein Geschmack… Auch einige Cafès und Bars säumen den Platz, Hungrige werden hier vielleicht im Ristorante Nonna Rina (Piazza Garibaldi 25), das leicht erhöht an der Piazza liegt, satt und glücklich. Wir überlegen kurz uns eine Pasta zu gönnen, aber dann ziehen wir doch weiter – denn der Naturpark mit den Grotten von Frassasi wartet bereits auf uns.
Was man sonst noch so gesehen haben könnte in Fabriano:
Das Museo della Carta e della Filligrana (Largo Fratelli Spaccia) ist vermutlich für all jene, die von Papier fasziniert sind, ein Must. Gleiches gilt wohl für alle Kunstgeschichte-Begeisterten, wenn es um einen Besuch der Pinacoteca Civica Bruno Molajoli im ehemaligen Krankenhaus Ospedale di Santa Maria del Buon Gesù geht.
Hier geht unsere Tour weiter - zum Santuario Madonna di Frasassi im Naturpark Gola di Rossa e Frasassi und in das Städtchen Jesi, nahe der Adria.
Und es gibt noch weitere Marken-Reportagen:
Urbino – die ideale Stadt der (Früh-)Renaissance I Vom Landesinneren an die Küste: Mondavio, Foosombrone & Fano I Strandleben in den Marken: Schöne Strände in der Region I Gut essen in den Marken: Restaurant-Tipps I Schöner wohnen in den Marken: Corte Campioli Hotel & Country House