• Kaffeehauskultur in Turin
    Piemont I Italien

Zugegeben, wer in Wien aufgewachsen ist und seine halbe Studienzeit in Kaffeehäusern verbracht hat,
der ist nicht so schnell zu beeindrucken. Die Turiner Caffès schaffen das aber dann doch: Denn Einrichtung und Atmosphäre entführen einen in längst vergangene Zeiten und das mit sehr viel Pracht und Eleganz.
Die Auswahl ist ausgesprochen groß – hier gibt es einen kleinen Einblick in die zu Recht berühmte Turiner Kaffeehauskultur...

Caffè Mulassano (Piazza Castello, 15)

Ich musste da einfach hinein, gleich bei unserem ersten Besuch in Turin: Ins Caffè Mulassano an der Piazza Castello, in den Arkaden gelegen. Denn diese Eleganz, die man schon von außen erahnen konnte, die musste ich mir unbedingt näher ansehen. Und dann war ich ziemlich überwältigt: Denn „Eleganz“ schien mir als Bezeichnung gar nicht mehr auszureichen. Da hatten sich Interiordesigner um 1900 wirklich ausgetobt: Eine Kassettendecke mit Ledereinlage, Marmor in den unterschiedlichsten Farben, beeindruckende Spiegel, üppige bronzene Blumendekoration – hier kam nur das beste vom besten zum Einsatz. Ich wusste gar nicht wo ich zuerst hinsehen sollte, soviel Pracht auf ziemlich wenig Quadratmetern. Denn wer im Mulassano einen Platz erobert hat, der muss dann im Gegenzug mit ziemlich wenig davon auskommen, zumindest im Inneren des Cafès. Ein paar Tischerln, die Bar, Kassa und in der Ecke mein persönliches Highlight: Ein gläserner, aufwendig gestalteter, historischer Kasten, in dem Tramezzini aufbewahrt werden. Diese wurden angeblich genau hier, um Mulassano erfunden, nur gerecht also, dass sie einen derart außergewöhnlichen und eleganten Aufbewahrungsort bekommen haben.

Mitglieder des Königshauses waren hier einst Gäste, ebenso Künstler:innen und Schauspieler:innen und mich wundert das nicht. Dies hier war wohl zu Recht ein Ort, wo man sah und vor allem gesehen werden wollte. Heute ist es ein beliebtes Ziel für jede und jeden, für Tourist:innen genau wie für die Turiner:innen, die hier lässig einfallen, einen Espresso an der Bar runterstürzen, sich ein Brioche einpacken lassen und auch schon wieder weg sind, oder aber mit Kind, Kegel und Hund die Tischchen vor dem Cafè bevölkern. Ich aber sitze hier fast andächtig, genieße meinen geliebten italienischen Schinken-Käse-Toast (der einfach nur in Italien so gut schmeckt, wie er es tun sollte, und hier im Mulassano ganz besonders), kröne das danach noch mit einem Brioche mit Crema, beobachte versonnen das Kommen und Gehen und freue mich ganz still und leise schon auf meinen nächsten Besuch in diesem großartigen kleinen Kaffeehaus…

Caffè Baratti & Milano (Piazza Castello 27)

Quasi gleich um`s Eck vom Mulassano und nur wenige Gehmeter weiter liegt das Baratti & Milano: Seit 1858 an der Piazza Castello 27 zu finden, von Ferdinando Baratto und Edoardo Milano gegründet, ist auch dieses Kaffeehaus ein Traditionhaus, berühmt für seine Pralinen und hervorragenden panini, fein belegte Brötchen. Unbedingt sollte man von diesem Caffè aus auch einen Abstecher in die Galleria Subalpina (gelegen zwischen Piazza Castello und Piazza Carignano), in die man vom Cafè aus blickt, machen, denn diese ist ein absolutes Schmuckstück.

Al Bicerin (Piazza della Consolata, 5)

Ausgerechnet eines haben wir im Al Bicerin nicht getrunken: Ein Bicerin. Eine Turiner Spezialität, die man zwar mittlerweile in vielen Cafès der Stadt bekommt, aber die im Al Bicerin vermutlich immer noch am besten schmeckt. Das Bicerin besteht aus heißem Espresso und heißer Schokolade sowie crema di latte (kalter Milchcreme), und wurde, na klar, im Al Bicerin, das 1763 gegründet worden war, kreiert. Das Spezielle an dem Getränk: Die drei Zutaten werden nicht gemischt, sondern schichtweise in das Glas (Bicerin bedeutet Gläschen auf Piemontesisch) gegossen. Und schichtweise soll man sie auch genießen, weswegen der Einsatz eines Löffels verpönt ist.

Ein Bicerin haben wir also für unsere nächste Turin-Reise am Zettel. Aber auch so fällt es im Al Bicerin leicht es sich gut gehen zu lassen. Heiße Schokolade, Kekse (darunter die bekannten Biscotti Baci di Dama, zwei Gebäckhälften, die mit einer Schicht Zartbitterschokolade verbunden sind), ein gut gekühlter Bellini: Wir sitzen im Gastgarten mit bestem Blick auf die gegenüberliegende Kirche La Consolata, die als Lieblingskirche der Turiner gilt. Was mich wiederum überhaupt nicht wundert, schließlich bietet sie, außen gut mit klassizistischer Fassade getarnt, innen ein wahres Barock-Feuerwerk. Darüber hinaus unzählige Votivbilder, vom Boden bis zur Decke – interessant, weil nicht oft in Kirchen in dieser Vielzahl und Bandbreite zu sehen. Aber zurück zum Al Bicerin: Wir würden es in der sanften Mai-Sonne sitzend noch länger aushalten. Aber dann fällt unser Blick auf die Menschenschlange, die sich bereits beim Eingang des Cafès gebildet hat – und wir räumen unseren Platz, denn Genuss soll man ja bekanntlich teilen. Und decken uns noch schnell im angeschlossenen kleinen Shop mit ein paar süßen Turiner Spezialitäten ein, damit der Nougat-Entzug zu Hause nicht allzu heftig ausfällt...

Caffè San Carlo (Piazza San Carlo, 156)

Herrlich sitzt man hier an der Piazza San Carlo, im gleichnamigen Caffè: dem Caffè San Carlo. Im Sommer im Schanigarten hat man einen großartigen Blick über die weite Piazza, bis hin zu den sogenannten „Zwillingskirchen“, die sich am südlichen Ende des von den Turinern auch „Salotto“ genannten Platzes befinden. Wir genießen sehr guten Prosciutto mit Buffala an einem Frühsommer-Montag, ein Glas Sprizz darf dann auch nicht fehlen. Das größte Highlight ist aber das Caffè selbst: Prächtige Räume aus der Zeit um 1900 bekommt man zu sehen. Unser Fazit: Gutes Essen zu nicht ganz günstigen Preisen, sehr freundliche Mitarbeiter:innen und im Gastgarten ein großartiger Ausblick auf einen der schönsten Plätze Turins...

Caffetteria Antonelli (Piazza Vittorio Veneto, 1)

Diese Cafetteria ist weder so alt wie andere Turiner Kaffeehäuser, noch so prächtig. Vielmehr eine ganz normale italienische Caffetteria, aber dafür mit großartigem Ausblick, wenn man im Gastgarten vor dem Antonelli sitzt: Die gesamte Piazza Vittorio Veneto liegt einem hier zu Füßen, man blickt Richtung Po, Monte dei Cappuccini und die Kirche Gran Madre di Dio. Leider sind wir für mein geliebtes Brioche mit Crema zu spät dran (haben wir doch zuvor einen Abstecher auf den Monte dei Cappuccini gemacht und von dort aus den wunderbaren morgendlichen Ausblick auf die Stadt genossen), denn die sind bereits ausverkauft, aber der Bombolone con crema (Vanillekrapfen) schmeckt auch sehr gut. Füsse ausstrecken, die Sonne auf die Nase scheinen lassen, das Treiben rund herum beobachten, hier hält man es auch länger aus...

Und es gibt noch einige mehr Kaffeehäuser in Turin, die einen Besuch wert sind. So z. B. das Caffè Torino (Piazza San Carlo, 204) eines der edelsten historischen Caffès in Turin, mit Restaurantbetrieb. Auch hier geben Kronleuchter, vergoldete Spiegelwände und viel Marmor sowie Fresken den Ton an. Unbedingt probieren sollte man die Gianduiotti: Das sind der Turiner Karnevalsfigur Gianduia gewidmete Pralinen, die aus feinster Milchschokolade, gefüllt mit einer Nusspaste, bestehen, und das alles natürlich handgemacht. Aber Achtung, nach einem Stück will man viel mehr davon.
Ebenfalls an der Piazza San Carlo gelegen ist das Neuv Caval `d Brons (Piazza San Carlo 155): Ein weiteres sehr elegantes Kaffeehaus, in dem man auch (nicht gerade günstig) sehr gut essen kann. Eine Turiner Institution! Das vermutlich teuerste Eis meines Lebens habe ich hier gegessen, aber: dafür war es auch wirklich ausgezeichnet.
Weiters einen Besuch wert: Das Caffè Platti (Corso Vittorio Emanuele II), ein sehr schönes Jugendstilcafè aus dem Jahr 1875. Angeblich sollen in dessen Räumen ein paar Studenten 1897 den Turiner Fußballklub Juventus gegründet haben.

Dass man in Turin kein Kaffeehaus findet, diese Gefahr besteht jedenfalls eher nicht. Viel mehr läuft man Gefahr, irgendwann auf jeden Fall den zahlreichen süßen Verlockungen dieser Stadt, die in den Schaufenstern üppig präsentiert werden, zu erliegen – egal wie willensstark man sonst auch ist...

Unbeauftragter und unbezahlter Bericht - alle Konsumationen erfolgten auf eigene Kosten.

 

Noch mehr Turin-Reportagen gibt es hier:

Die schönsten Aussichtspunkte und Kirchen Turins I Palazzi, Museen & Gärten in Turin I An den schönsten Plätzen Turins und an den Ufern des Po
Turiner Foto-Impressionen
Eine Sonntag-Nacht im Fußball-Stadion: Forza Juve
Schöner schlafen in Turin: Hotel Studio Opera35 - suite and studio
Superzentral und mit großartiger Aussicht schlafen: NH Collection Santo Stefano